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Rezension zu "Good-for-Nothing Entrepreneurs: Capitalism and Democratic Decline in the West" - Erosion demokratischer Institutionen

In Good-for-Nothing Entrepreneurs: Capitalism and Democratic Decline in the West untersucht Wim Naudé den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des westlichen Kapitalismus und der schleichenden Erosion demokratischer Institutionen seit den frühen 2000er-Jahren.


Ausgehend von internationalen Demokratiedaten (V-Dem, Freedom House) und Ungleichheitsindikatoren (World Inequality Database) formuliert die Studie eine klare, provokante These: Der Aufstieg einer vor allem digital geprägten Milliardärsoligarchie korreliert nicht nur mit dem demokratischen Niedergang, sondern stellt einen zentralen Treiber dieser Entwicklung dar.


Demokratiekrise, Ungleichheit und die Transformation des Kapitalismus erscheinen hier nicht als parallele Phänomene, sondern als eng miteinander verwobene Prozesse.


In Good-for-Nothing Entrepreneurs: Capitalism and Democratic Decline in the West korreliert der Aufstieg einer vor allem digital geprägten Milliardärsoligarchie u.a. mit dem demokratischen Niedergang.
In Good-for-Nothing Entrepreneurs: Capitalism and Democratic Decline in the West korreliert der Aufstieg einer vor allem digital geprägten Milliardärsoligarchie u.a. mit dem demokratischen Niedergang. Bild: Generative AI/ChatGPT


Zentrale Beiträge und Stärken - Erosion demokratischer Institutionen


Die größte Stärke der Arbeit liegt in ihrer konsequenten Umkehr einer gängigen Erzählung. Während große Teile der Entrepreneurship- und Wachstumsliteratur Demokratie als förderlich für Unternehmertum betrachten, argumentiert Naudé, dass eine bestimmte Form von Unternehmertum – verkörpert durch milliardenschwere Tech-Unternehmer – demokratische Institutionen systematisch untergräbt. Diese Perspektivverschiebung ist sowohl theoretisch als auch normativ bedeutsam und zwingt zur Neubewertung des Verhältnisses zwischen Innovation, Macht und politischer Ordnung.


Analytisch überzeugt die Studie durch ihre Breite und Syntheseleistung. Naudé verbindet Ansätze aus der Debatte über Oligarchie-, Techno-Feudalismus-, Überwachungs- und Kriegsökonomie zu einem kohärenten Gesamtbild. Besonders originell ist die Verknüpfung der digitalen Plattformökonomie mit dem Military Industrial Complex (MIC): Der argumentierte „Pivot“ von Silicon Valley in Richtung Rüstungs- und Sicherheitsmärkte wird als logische Folge stagnierender ziviler Absatzmärkte interpretiert – in Anlehnung an Rosa Luxemburgs Imperialismusthese. Damit erweitert die Arbeit bestehende Diagnosen, etwa jene des Techno-Feudalismus, um eine geopolitisch-ökonomische Dimension hinzuzufügen.


Auch die Darstellung der Wirkmechanismen demokratischer Erosion ist überzeugend. Lobbyismus, „revolving doors“, Medienkonzentration, digitale Überwachung und der Verlust gemeinsamer Sinn- und Wirklichkeitsdeutung werden nicht isoliert behandelt, sondern als sich gegenseitig verstärkende Prozesse. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass Naudé sowohl top-down-Mechanismen (Elitenmacht) als auch bottom-up-Dynamiken (populistische Gegenreaktionen) berücksichtigt und dadurch einfache Erklärungen vermeidet.


Kritische Würdigung und Schwächen


Trotz ihrer analytischen Stärke bleibt die Studie über die Ursachen der Erosion demokratischer Institutionen in Teilen angreifbar. Empirisch stützt sich der Kern der Argumentation auf Korrelationen; kausale Nachweise bleiben begrenzt. Zwar ist der Autor dieser Einschränkung sich dessen bewusst, doch hätten alternative Erklärungen – etwa institutionelle Schwächen von Parteiensystemen, kulturelle Polarisierung oder exogene geopolitische Schocks – systematisch gegeneinander abgewogen werden können.


Zudem ist der Unternehmerbegriff bewusst polemisch gefasst. Die Gleichsetzung von „Entrepreneurship“ mit oligarchischer Rentenextraktion dürfte insbesondere Vertreter der Innovations- und Gründungsforschung irritieren. Hier besteht die Gefahr, dass analytisch unterschiedliche Phänomene normativ überblendet werden. Schließlich bleibt die politische Schlussfolgerung – die Zerschlagung der Oligarchie und die Demontage der Permanent War Economy – zwar klar formuliert, hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzbarkeit jedoch unzureichend unterbestimmt.


Einordnung im Forschungsfeld und Implikationen


Im Vergleich zu verwandten Arbeiten (etwa zu Techno-Feudalismus, Plutokratie oder demokratischem Backsliding) zeichnet sich Naudés Studie durch ihre integrative Perspektive aus. Während viele Analysen entweder auf Technologie, Ungleichheit oder Populismus fokussieren, insistiert diese Arbeit auf einer strukturellen Gesamtschau des westlichen Kapitalismus. Gerade darin liegt ihre Bedeutung für die politische Ökonomie, die Demokratieforschung und die kritische Entrepreneurship-Studien.


Die weitergehende Implikation ist unbequem: Demokratische Reformen, die sich auf Plattformregulierung oder Wahlrechtsfragen beschränken, greifen zu kurz, solange die ökonomischen Machtstrukturen unangetastet bleiben. Diese Diagnose wird nicht überall Zustimmung finden, stellt aber einen wichtigen Impuls für eine grundlegendere Debatte dar.



Fazit


Good-for-Nothing Entrepreneurs ist eine streitbare, analytisch dichte und bewusst zugespitzte Studie. Sie überzeugt weniger durch endgültige Antworten als durch ihre Fähigkeit, vertraute Annahmen infrage zu stellen und disparate Debatten zusammenzuführen. Wer bereit ist, sich auf eine radikale Kritik des gegenwärtigen Kapitalismus einzulassen, wird aus der Lektüre einen erheblichen Erkenntnisgewinn ziehen.



⭐⭐⭐⭐☆ Rating: 4/5


Vorteile: Scharfe konzeptionelle Synthese, klare Argumentationslinie, starke Verbindung der Debatten über Technologie, Ungleichheit und Demokratie.


Nachteile: Teilweise deterministisch, begrenzte kausale Evidenz, politische Schlussfolgerungen bleiben programmatisch.


Empfohlen für: Politische Ökonomen, Demokratieforscher, kritische Entrepreneurship-Studien, Technologie- und Sicherheitspolitik-Analysten sowie politisch interessierte Leserinnen und Leser, die an strukturellen Erklärungen demokratischer Krisen interessiert sind.




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